Claudia Desgranges

„Cadmiumorange / Rose Tyrien” – Erich Franz

Deutlich sieht man eine farbige Einheit, es ist ein „rotes Bild“, und ebenso deutlich zerlegt es sich in unterschiedliche Farben, die man zugleich mit unterschiedlichen Bewegungsrichtungen und räumlichen Verhältnissen wahrnimmt: vertikale Bahnen unter der oberen Schicht, kühler, dunkler, ins Bläuliche gehend, voneinander getrennt, und „darüber“ ein horizontalers Fließen und Verstreichen, hin und her, wärmer und heller, rot-orange. Jede dieser Beobachtungen stimmt, und doch möchte man jeder ins Wort fallen, das Vertikale breitet sich horizontal aus, das „Untere“ dringt vor, ist nicht als „Schicht“ zu trennen, das „Kühle“ füllt sich mit Wärme, wird hier, im Dunkleren, eigentlich erst rot, während das horizontal verstrichene Rot-Orange dort, wo es sich vom Vertikalen löst, an Leuchtkraft verliert, dünner wird, zum Gelb und zum Transparenten und Hellen sich auflöst. Das Verhältnis des einen zum anderen verändert sich, rechts ist das Hellere wichtiger, mit einem irritierenden rosa Rand (sollte das die Farbe „unter“dem Orange sein?), links das Dunklere, dort jedoch kaum mit vertikaler bewegung, vielmehr fast ganz dem horizontalen Verfließen einbezogen. Und auch die anderen „Vertikalen“ fügen sich dem hin und her gerichteten Verlaufen ein, biegen sich oben nach rechts, entgrenzen sich mal mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite, nach links hin insgesamt etwas deutlicher sich unterscheidend, nach rechts hin mehr verfließend.

All das muß so deutlich beschrieben werden, um alles Beschriebene wieder aufzulösen und aufzuheben. Nichts ist feststellbar. Das Unterschiedene ist untennbar, dringt ineinander, und das Einheitliche ist überall unterschieden. Vor allem steigern sich die geringsten Nuancen der physikalisch-realen Farbe (Albers‘ “factual fact“) zu optisch starken Unterschieden, ja Gegensätzen (Albers‘ “actual fact“): „Rot“ wird zu „Blau“, „Gelb“ zu „Rot“, „Dunkel“ zu „Hell“, „Fest“ zu „Weich“, „Vertikal“ zu „Horizontal“. Man schneide sich einmal ein kleines Fenster in ein Stück Paper und bewege es auf der Abbildung: das „Blau“ ist natürlich, für sich gesehen, rot und das „Orange“ hat, für sich gesehen, deutliche Spuren von Bläulich-Rosa. Farbe entsteht optisch aneinander und auseinander. Bei diesen neuen, auf Aluminium gemalten Bildern von Claudia Desgranges gibt es nicht wie in ihren bisherigen größeren Leinwandbildern, eine Grundfarbe und darübergemalte Schichtungen; auf dem Metall dringt das darunter gemalte nicht in den Untergrund ein. Die „untere“ Farbe verschmilzt vielmehr besonders flüssig (fast aquarellhaft, aber doch auch pastoser) mit dem Darübergemalten. (In dem anderen Bild der Ausstellung, Èchtgelbzitron, Permanent Rosa hell, entstanden 2000, sind beide Farben noch weniger trennbar, noch mehr überall ineinander vermalt, so dass sie sich – erstaunlicherweise – noch nachhaltiger optisch trennen, fast schmerzhaft in ihrer eng verbundenen Unvereinbarkeit von warmen Rosa bis zum Ocker hin und kaltem Gelb bis zum Grün hin.)  Jede Farbe breitet sich überallhin aus, und aus dieser umfassenden Verschmelzung löst sich alles Unterscheidbare erst als optischer Vorgang aus dem Gesamten. Das eine (z.B. das Dunkle oder Kühle) unterscheidet das Auge erst am und aus dem anderen, also in „Gleichzeitiger“ Wahrnehmung dieses anderen. Eins und eins ergibt hier eins, denn „beides“ ist nur ineinander erfahrbar, und zwei ist hier eins, und ebenso ist eins auch zwei und unzählbar vieles. Es ist nicht ein Auffassen und Denken in Zuständen (trennbar), sondern in Vorgängen, in denen das Erkannte vorläufig aufscheint und sich verwandelt. Und doch „stehen“ diese Vorgänge alle zugleich und in eins vor Augen. Was wir an diesem Entstehen der Farben im Vorgang des Sehens unweigerlich wahrnehmen, ist das völlige Gegenteil jenes binären Codes, der unsere Gegenwart zu beherrschen scheint. Wahrnehmung von Farbe an und aus Farbe führt darauf zurück, dass alles Erfahrbare allein sinnlich erfahrbar ist und erst in seiner Sinnlichkeit für uns Realität wird. An Josef Albers wäre dann im nachhinein die Frage zu stellen, ob es das andere überhaupt gibt: “factual facts“.