Claudia Desgranges

Überblendungen – Gabriele Uelsberg

Drei künstlerische Interventionen der Künstlerin Claudia Desgranges an und in Bonner Liegenschaften der MIWO Mitwohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft im Rheinland

Im Rahmen des Künstlerprojektes „kunstundwohnen“ hat die Kölner Künstlerin Claudia Desgranges in verschiedenen Etappen ihre künstlerischen Eingriffe in den öffentlichen Raum gesetzt, indem sie mit Film, Objekt, Malerei und Architektureingriffen die Räumlichkeiten und die Anmutung der Wohnobjekte maßgeblich verändert hat. 

Seit vielen Jahren beschäftigt sich Claudia Desgranges in ihrer Malerei, dem wesentlichen Medium ihrer Gestaltung, der Interpretation von Malerei als Raum und Zeit stiftendes Phänomen. Im Laufe ihrer künstlerischen Arbeit ist sie dabei zunächst materiell vom Medium des Leinwandbildes gewechselt zum Medium der Malerei auf Aluminium und hat dann in weiteren Schritten die Zuordnung der malerischen Komponenten noch stärker in den Raum hineingezogen und der Malerei selbst damit einen Faktor der offenen Verortung in Raum und Zeit abgerungen. 

In der ersten Aktion des Projektes „kunstundwohnen“ hat Claudia Desgranges einen Film an das Wohnhaus in der Irmintrudisstraße projiziert, der ab der frühen Dämmerung die Hausfläche mit irritierenden Bildern überzogen hat. Claudia Desgranges hat dabei in ihrem Film Sequenzen von Abstraktion und Malerei gemischt mit vorgefundenen Alltagssituationen oder Alltagsobjekten, die sich ständig überlagern und so dem Aspekt Rechnung tragen, dass alles Sehen, Wahrnehmen und Aufnehmen von Realität stets gekoppelt ist im menschlichen Bewusstsein  mit der Fähigkeit, vom Objekt und von der konkreten Situation immer wieder auf die Ebene der Abstraktion und Komposition zurückzugehen. Dieses Wechselspiel zwischen realistisch und abstrakt, zwischen konkret und immateriell, das die Künstlerin in seiner künstlerischen Arbeit ständig in Korrelation bringt, hat Claudia Desgranges in ihrer filmischen Sequenz gleichsam in Schichten übereinander gelagert und konfrontiert nun die Realität einer Häuserfassade genau mit jenem Wahrnehmungselement. 

Claudia Desgranges hat für diesen Film ganz konkret Bilder ihrer eigenen Arbeit wie in einem Farbtagebuch aufgenommen und mit Alltagssituationen überblendet. Aus dieser praktischen Umsetzung entwickelte sich auch die Thematik für das gesamte Projekt innerhalb der Aktion. Monate war Claudia Desgranges mit einer kleinen Kamera unterwegs. In München und Köln hat sie Alltagssituationen und Objekte gefilmt, wobei vier Stunden Filmmaterial zustande kamen. 

Entstanden ist dabei in Überblendung mit eigenen abstrakten Arbeiten eine rhythmische Farbabfolge mit fließenden Sequenzen, die gleichsam Öffentliches mit Privatem und Allgemeines mit Individuellem spiegelt und so ein Portrait auch des „Innenlebens“ eines solchen Wohnhauses wiedergibt. Die zweite und gleichsam dritte Intervention, die Claudia Desgranges getätigt hat, realisierte sie ebenfalls in der Irmintrudisstraße, wobei die Künstlerin zum einen das Metallsims über den Reihengaragen malerisch strukturiert zum anderen die Einfahrt zu den Garagen mit Farbobjekten akzentuiert hat. Die Zufahrt zu den Garagen war in den 50iger Jahren mit Gehwegsplatten ausgelegt worden, die zum Teil farbliche Akzente gesetzt hatten. Diese Platten, die im Laufe der letzten Jahrzehnte durchaus gelitten hatten, wurden nun von Claudia Desgranges punktuell durch neue Platten ersetzt, die jedoch in einer stärkeren und deutlicheren Farbigkeit in einem scheinbar unsystematischen Rhythmus den Platz vor den Garagen strukturiert hat, da die Künstlerin die am meisten zerstörten Platten ersetzte. Der Kontrast zwischen den farbig stark akzentuierten Platten und ihrer auch durch ihre „Neuheit“ glatteren Oberflächen verleitet das Sehen zu einem ständigen Verlaufnachvollziehen. Gerade auch in der scheinbaren „Unberechenbarkeit“ der Plattensetzungen, die keinem erkennbaren System zu folgen scheinen, ist der Betrachter immer wieder auf die konkrete und direkte Wahrnehmung konzentriert. Der Blick geht ständig hin und her und lässt so den Charakter von Fluss und Prozess deutlich werden. Claudia Desgranges berichtet selbst dazu „Als ich den Hof das erste Mal sah, vielen mir sofort die regelmäßigen in drei Farben gehaltenen Bodenplatten aus den fünfziger Jahren auf. Viele waren durch die jahrzehntelange Nutzung stark beschädigt. Sie ersetzte ich durch neue farbige Steine.“ Im gleichmäßigen Rhythmus der alten Pflasterung sowie der bisherigen eingeschränkten Farbauswahl wich die Künstlerin durch den Austausch nur der beschädigten Platten ab und gestaltete so einen ganz neuen A-rhythmischen Bodenparcour.

Auf die am Boden verlegten Farben ???

In dem Aluminiumssims über den Reihengaragen greift Claudia Desgranges noch unmittelbarer auf ihr ureigenstes künstlerisches Repertoire zurück. Farbflächen die sie auf eine Breite von nahezu 12 Metern mit Farbstreifen akzentuiert hat scheinen wie in einem Spektralimpuls von Links nach Rechts und von Rechts nach Links zu gehen. Wie in einem Zeitimpuls verwischt zeigt sich der Fluss der Wahrnehmung und entwickelt ein visuelles dynamisches Farbraumerlebnis. Die Farbigkeit auf dem Aluminiumträger ist bewusst lasierend und hat so die Qualität einer im Raum vor der eigentlichen Fläche existierenden Farbsensation. Die Farbigkeiten werden dabei auch durch ihre Einbindung in den Außenraum ständig verändert. Der unterschiedliche Lichteinfall am Tag, Wetterveränderungen und in gewissem Grade auch Reflexionen auf den metallischen Oberflächen verändern die Farbigkeiten von Minute zu Minute. Der Duktus und die Maßstäblickeit ist fließend so dass hier wie schon in dem realen Film ein scheinbar ununterbrochenes virtuelles Kontinuum entsteht. Stets werden Kontrast und scheinbare Gegensätze miteinander verbunden. Die Farbigkeiten, die Claudia Desgranges hierbei verwendet, haben unterschiedliche „Temperaturen“. Dadurch entstehen immer wieder Bereiche der Anziehung und Abstoßung der Geschwindigkeit und Verlangsamung und der unterschiedlichen Wahrnehmung von kalt und warm. Im Außenraum, wo sich nun diese Malerei konkret befindet, ein scheinbar absolut natürlicher Vorgang, der sich hier im Kontext der real gegebenen Raumsituation noch durch das faktische Verändern von Faktoren wie Licht, Zeit und Temperatur stärken. 

Kennt man Claudia Desgranges Arbeiten ist man über das extrem lang gestreckte friesartige Farbrelief über den Garagentoren nicht weiter erstaunt, denn auch ihre realen Bildsetzungen in Ausstellungen und an unterschiedlichen Orten gehen zur Zeit in das extrem lang gestreckte Format, nicht zuletzt, um den Charakter der Zeit und der Geschwindigkeit mit einzufangen. Die Auseinandersetzung mit filmischen Sequenzen ist bei Claudia Desgranges seit vielen Jahren fassbar wenngleich die konkreten Filmarbeiten der letzten Zeit dies in einem weiteren Schritt vollziehen lassen. Der Film und der Ablauf von Bildern im Film ist es, was die Künstlerin sehr interessiert und was sie hier in dem zweiten und dritten Teil der Stationen von „kunstundwohnen“ unternimmt, entspricht genau ihrem künstlerischen Credo. 

 In dem dritten Realisierungsprojekt in der Adolfstraße hat dann die Künstlerin ein gläsernes nach Außen als Fensterfront wirkendes Treppenhaus komplett in farbige Rechtecke und Quadrate unterteilt. Sie nimmt dabei Bezug auf die vorgefundenen Fensterrahmungsstrukturen und besetzt sie mit einer eigenen synkopischen Farbfeldsetzung. Auch hier spielt das Licht eine bedeutende Rolle, das aus dem von Innen her erleuchteten Treppenhaus gleichsam nach Außen strahlt und den Farbfeldern so eine konkret immaterielle Präsenz im Raum verleiht, die sich löst vom eigentlichen Träger, der in diesem Fall Folie auf Glas ist. Die Farbabfolge spielt hier wiederum mit den unterschiedlichen Temperaturen und Wertigkeiten von Farbigkeit und setzt dies gleichsam in ein Koordinatensystem um. Dieses Codesystem von Farbigkeit, das stark auch mit den Metaphern von Zeit und Geschwindigkeit operiert, ist in seiner Determiniertheit gleichsam nicht begrenzbar. Die Möglichkeiten der Kombination und der Interaktion von Farbe in diesem Kontext ist gleichsam unbegrenzt, so dass die Künstlerin hier ganz bewusst jeweils für den einzelnen Ort eine Entscheidung trifft, die in der Wahrnehmung jedoch immer wieder sich fließend andere Alternativen öffnet. 

Nachdem mit Detlef Beer das intime Verhältnis eines Bild mit Wohnung akzentuiert wurde, nachdem Friedhelm Falke in dauerhafter Veränderung auf Wohnung und Bild eine Einheit verwoben hatte, nachdem Martin Noel mit sieben unterschiedlichen Aktionen „Stolpersteine“ der Wahrnehmung ins Bewusstsein gepflanzt hat, die an unterschiedlichen Stellen ihre besondere Gewichtung gesetzt haben, verfolgt Claudia Desgranges Ziel den Raum und das Umfeld in Bewegung zu setzen und über ihren subtilen Zeittaktinterventionen einen Prozess in Gang zu setzen, der über die reine Wahrnehmung hinaus die Stimmung und Atmosphäre der Orte verändert. 

Dr. Gabriele Uelsberg
Direktorin des LVR-LandesMuseums Bonn