Claudia Desgranges

update – Ein Gespräch zwischen Claudia Desgranges und Alexandra Käss

Wenn man eine Ausstellung von Claudia Desgranges betritt, erscheint zuallererst ein einziger Begriff im Kopf: Farbe! Können Sie den Moment festmachen, der dieses konsequente Kreisen um das grundsätzliche malerische Mittel Farbe ausgelöst hat?

Mein erstes Studium war eher wissenschaftlich orientiert, und ich brauchte für die anstehende Prüfung noch einen Nachweis in „künstlerischer Praxis“.

Mitten im Semester ging ich also erstmals in ein Seminar mit dem Thema „Gegenständliche Malerei“.

Im Übungsatelier waren Stillleben aufgebaut: Der Professor gab mir Farben und Pinsel, ich setzte mich an einen freien Platz und fing an, Farben zu mischen und die getrocknete Sonnenblume, die vor mir auf dem Tisch lag, mit einem feinen Haarpinsel abzumalen. Ich war so vertieft in meine Arbeit, dass mich die Stimme des Professors hochschrecken ließ: „Wissen Sie, dass Sie ein unglaubliches Farbgefühl haben? Diese feinen Farbmischungen! Sie sind sehr begabt! So etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Der Professor war sprachlos. Dieser Tag hat mein Leben verändert. Ich bewarb mich danach an der Kunstakademie.

Wenn man Ihre Werkserien über die Jahre hinweg anschaut, scheinen letztlich aber auch andere Grundbegriffe des Visuellen eine Rolle zu spielen: Punkt, Linie und Fläche, Horizontale, Vertikale und Diagonale, Kurve und Gerade, Zentrum und Rand. Das ließe sich fortsetzen.  

Ich arbeite natürlich auf dem Hintergrund der Geschichte der Malerei und ich beschäftige mich mit den Bedingungen der Malerei.

Es geht mir um Farbe, um Malerei, um die Möglichkeiten zu erforschen, die man heute in diesem Medium noch hat. Ich habe im Laufe der Jahre ein Farb- und Formvokabular entwickelt, dass ich auf dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen immer wieder ganz neu zusammensetze. Dieses Vokabular geht natürlich von Grundformen aus. Die Titel „dots“ oder „strokes“ weisen schon darauf hin.

Dieses  zunächst sehr abstrakte Vokabular steht auch in Zusammenhang mit Ihrer persönlichen Erfahrungswelt? 

Die Arbeiten sind immer mit biografischen Momenten verknüpft, sie schöpfen aus der Erinnerung und Erfahrung der erlebten Wirklichkeit, wie Echos von gesehenen Dingen, das können Erinnerungen an eine Person, an einen Ort oder auch an bestimmte Musik sein.

Gleichzeitig sind sie natürlich auch ein Reflex auf das Zeitfenster, in dem ich lebe.

Auf dieses „Zeitfenster“ in dem Sie leben, auf die alltäglichen Bildwelten, haben Sie als Künstlerin immer sehr direkt reagiert. Gilt das auch für  den Schritt von den anfangs sehr reduzierten Leinwandarbeiten zu den Aluminiumtafeln?

15 Jahre lang habe ich mich in meinen Bildern ausschließlich mit zwei Farben beschäftigt, die im Zusammenklang sehr subtil aufeinander abgestimmt waren. Das Material war Eitempera auf Leinwand; die Bilder waren sehr ruhig und meditativ.

Ab dem Jahr 2000 – angeregt durch die allgegenwärtige Bilderflut – verwendete ich als Bildträger Aluminiumplatten, die auf einer Subkonstruktion so montiert sind, so dass sie wie vor einer Wand zu schweben scheinen.

Die Verwendung dieses „leichten“, fast immateriell wirkenden Materials ist eine Reaktion auf die zunehmend virtuelle Welt, in der die haptische Materialerfahrung zunehmend zugunsten des Umgangs mit Computern – der medialen Welt -, in der alles die gleiche Oberfläche hat, zurückgedrängt wird.

Auch die ursprüngliche Zweifarbigkeit entwickelte sich zu einem breiten Farbspektrum. 

Ihre Arbeiten, besonders die großen Aluminiumplatten, entstehen ja auch auf eine ganz spezifische Weise, die den Bildern eine ganz deutliche eigene Handschrift gibt. Können Sie kurz Ihre Arbeitsweise beschreiben? 

Die dünnen Aluminiumplatten liegen in der Regel entweder auf Böcken oder auf Holzbohlen auf dem Boden. Sie müssen waagerecht liegen, damit die dünnflüssige Farbe nicht tropft. Ich arbeite, wenn nötig, auch beidhändig, mit unterschiedlich breiten Pinseln, die Farbe wird in kurzen oder langen Pinselzügen aufgetragen, dadurch wird das Bild im freien Rhythmus dynamisiert. Dabei kann man  häufig nachvollziehen, wo der Pinsel ansetzt oder wo sich verschiedene Pinselzüge kreuzen. In den letzten Arbeiten habe ich noch andere Werkzeuge benutzt, zum Beispiel Gummirakel, mit denen dann die Farben vertrieben werden.


Ihre Malerei kann sehr dicht sein, ich würde von Farblagen, Schichtungen und Verwebungen sprechen. Ein anderes Mal bleibt sie sehr offen, es entstehen Freistellen, Leerräume, der Träger wird klar sichtbar. Wie fällt die Entscheidung für das Eine oder das Andere? Welche Rolle spielen solche Leerräume?

Die Entscheidung für bestimmte Malphasen fällt sehr intuitiv, im Grunde genommen beim Arbeiten selbst. Ein Bild entsteht aus dem anderen. Es entstehen dann Werkreihen, die sich immer mit der gleichen Thematik beschäftigen, bis sie dann von einer anderen – scheinbar sehr gegensätzlichen  – abgelöst werden.

Es ist so, als würde ich an einem Riesenbild malen, mich aber jeweils nur mit einem winzigen Ausschnitt beschäftigen. 

Die „Leerräume”  – wie sie es nennen  – spiegeln das Licht, die Umgebung, den Raum und auch den Betrachter. Mir gefällt der Gedanke, dass der Betrachter dann auch zum Bestandteil des Bildes wird. Die Umgebung reflektiert sich im Bild.

Und diese „offene” Bildtafel wird gleichzeitig zum Gegenspieler anderer Bildtafeln.

Seit vielen Jahren beenden Sie Ihren Arbeitstag durch das Abstreichen des Pinsels in einem Buch. Daraus sind bis heute mehr als 50 Farbtagebücher entstanden. Für den Betrachter sind sie wie eine Spur die über die Geschichte Ihrer Arbeiten und auch der erwähnten Werkserien erzählt. Fungieren die Bücher für Sie selbst auch als Archiv? Nehmen Sie heute, vielleicht auch im Arbeitsprozess, noch einmal zehn Jahre alte Bücher zur Hand?    

Es passiert immer mal wieder, dass ich „ältere“ Farbtagebücher wieder ansehe

und dann entwickelt sich der Blick zurück nach vorn. Das heißt ich nehme durchaus Ansätze und Ideen in ganz neue Arbeiten auf. Die verschiedenen Medien beeinflussen sich gegenseitig. Es kann auch passieren, dass ich alte Bücher anschaue und plötzlich merke, dass ich  zehn Jahre später die Ansätze, die ich damals schon formuliert hatte, ganz neu entdecke.

Einige der Aluminiumarbeiten sind mit deutlichem Abstand vor die Wand gesetzt, andere sind einfach nur an die Ausstellungswände angelehnt. Auch die Papierarbeiten sind oft nicht glatt, sondern in ihnen ist die Dreidimensionalität des feuchten gewellten Papiers erhalten. Der visuelle Eindruck Ihrer Farbarbeiten ist sehr malerisch, wäre es trotzdem richtiger, von Objekten und Installationen zu sprechen?

Als Malerin lote ich natürlich alle Dimensionen aus und komme dadurch in Randbereiche.

Ich glaube, dass heutzutage die Zuordnungen zu  einzelnen Medien – auch dadurch dass vermehrt „kunstfremde“ Materialien verwendet werden – immer mehr aufweichen. Es gibt immer mehr „Crossover“, das heißt  die Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen verschwimmen. Bei einer Malerei-Installation im Kunstverein Mönchengladbach, die ich gerade vorbereite, werden beispielsweise  100 bemalte Papiere direkt an der Wand angebracht.

Das ist Malerei pur. In anderen Fällen löse ich die Malerei von der Wand, dann geht sie in den Raum, wird zum Relief oder Objekt. Die Bezeichnungen sind sehr fließend. 

Wir haben in der Vorbereitung der Bonner Ausstellung nicht nur über Malerei sondern immer wieder auch über die Ausstellungsräume gesprochen. Sind, Räume  für Ihre Arbeiten unverzichtbare Mitspieler?

Ja das sind sie; denn neben dem Faktor Zeit beziehen sich die Aluminiumtafeln immer auch auf die Räume, in denen sie präsentiert werden. Gerade bei den neuesten Arbeiten, den „composite paintings“, bekommt die Wand, an der diese hängen, noch eine ganz andere Gewichtung. Die aus mehreren Aluminiumtafeln zusammengesetzten Malereien benötigen für sich selbst sehr viel Umraum. Aus diesem Grund wird die große weiße Wand im oberen offenen Raum im LVR-LandesMuseum in der Ausstellung auch farbig markiert.

Die andere, geradezu unerlässliche „Mitspielerin“ Ihrer Arbeiten haben Sie eben selbst angesprochen, die Zeit.

Ab ungefähr 2004 entstand der Werkkomplex „zeitstreifen“, das sind schmale horizontale oder vertikale Formate, auf die ein prismatischer Farbfächer gesetzt wird, der dann mit unterschiedlich breiten Pinseln mit bewegtem Gestus ineinander vermalt wird. Dabei werden die fließenden Bewegungen und die Zeit für den Betrachter erlebbar.

Es entstehen die viel zitierten Assoziationen zu Filmstreifen, Züge, die in Höchstgeschwindigkeit vorbei fahren, der Blick aus dem Zugfenster, wenn die Landschaft vorbeirast…

Gegenständliches verliert sich in der schnellen Bewegung, das Vergehen der Zeit wird zum Farbeindruck.

Sie haben den Film selbst  mittlerweile auch als Medium für Ihre Arbeit entdeckt. 

Ja, gerade diese langestreckten Aluminiumtafeln, die „zeitstreifen“ haben mich zusammen mit den Farbtagebüchern letztendlich zum Film geführt.

Das Umblättern der Farbtagebücher hat mich an bewegte Bilder, fast wie ein Daumenkino erinnert,  und die zeitstreifen haben viel mit Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Beschleunigung von Bildern zu tun. 

Wer an die neuen Medien und digitalen Welten denkt, assoziiert „schnelle“, „technisch gemachte“,  „synchrone“ Bilder in unglaublich großer Zahl. Bei Malerei denkt man traditionell geradezu an das Gegenteil: die Spur der Künstlerhand, einen zeitintensiven Prozess der Herstellung, das einzelne für sich stehende Bild. Muss man Malerei vor diesem Hintergrund heute neu denken?

Ich mache ja „Malerei unplugged”, d.h.  ich arbeite immer noch ganz konventionell mit Pinsel und Farbe und untersuche dabei die technischen Möglichkeiten, die es gibt.

Malerei ist ein sehr langsames Medium, ich denke, das wird sich auch nicht ändern. Ich reagiere ganz bewusst mit dem langsamen Medium Malerei auf das Phänomen der beschleunigten Welt.

In den zusammengesetzten Arbeiten entsteht eine Irritation: was ist jetzt vorne, was ist hinten? Handelt es sich um  eine Fläche oder sind das ’strokes‘ oder ‚dots‘? Schimmert hier das reine Aluminium durch oder ist es  an dieser Stelle gemalt, spiegelt sich hier die Realität etc.? … und so immer weiter.

Durch die verschiedene Anordnung der einzelnen Bildtafeln entsteht ein vor und zurück; der Blick des Betrachters folgt dieser Bewegung. Es entsteht eine Schwingung, die durch den Farbklang noch verstärkt wird.

Diese Art zu schauen, lässt den Betrachter sich in der Zeit bewegen, diese „Augenwanderbilder“ sind wie einen Film anzuschauen; gleichzeitig erinnern sie an das Nebeneinander von Screens, Tablets  und simultan geöffneten Programmfenstern im Computer.

Sie haben Ihre Ausstellung „update“ genannt, also Aktualisierung. Bestimmen gerade die  für die Ausstellung neu entstandenen, „zusammengesetzten Malereien“ Ihre künstlerische Position in gewissem Sinne noch einmal neu?

In den neuen Arbeiten, den „composite paintings“, zeigt sich meine ganze malerische Erfahrung aus dem jahrelangen Umgang mit Farbe.

Ich habe mich in verschiedenen Phasen immer mit bestimmten malerischen Fragestellungen beschäftigt, die ich dann ganz konsequent ausgelotet habe. 

Jetzt kann ich diese vielfältigen Erfahrungen und die unterschiedlichen Aspekte meiner Arbeit zusammenführen. Man kann sicher davon sprechen, dass ich dadurch eine neue Freiheit gewonnen habe.

Was mich beim Betrachten besonders für die „composite paintings“ einnimmt, ist ihre Spannung: Bildfelder, in denen die Wahrnehmung von Bewegung und Polychromie im Vordergrund stehen, treten in einen Dialog mit fast monochromen Tafeln.Dichte, schichtenartige Setzungen von Farben stehen Bildfeldern gegenüber, die sich dem Spiel zwischen Farbe und Aluminium widmen.

Ja, in den mehrteiligen Arbeiten passiert etwas Neues:

Die hochtourigen, schmalen Bänder finden sich neben zentrierteren Bildformaten, die den Blick in die Tiefe führen. Die meist zwei- oder dreiteiligen Bilder sind sorgfältig austariert und werden mit unterschiedlicher Distanz zur Wand aufgehängt. Sie sind so aufeinander bezogen installiert, dass sie sich gegenseitig überlagern. 

Starke Gegensätze treffen aufeinander: Ruhe steht neben Bewegung, glänzende Oberfläche steht gegenüber matter Oberfläche, pastoser Farbauftrag gegenüber lasierendem, ruhige rechteckige Formate gegenüber langen schmalen Bändern, kräftige Farben gegenüber leisen, zurückhaltenden Farbtönen.

Dieses Wechselspiel verändert auch unmittelbar die Art wie man diese Arbeiten wahrnimmt.

Im Spiel mit den unterschiedlichen Farben, Bewegungsrichtungen und Geschwindigkeiten will ich den Betrachter herausfordern und neue Seherfahrungen initiieren.

Verändert sich unsere Wahrnehmung durch die neuen Medien?

Kann man das Multitasking, das wir durch den Computer kennen, auf die Wahrnehmung übertragen?

Das sind Fragen, die mich in den neuen Arbeiten beschäftigen.

 In den „composite paintings“ gehen verschiedene Ihrer Aluminiumtafeln eine Verbindung ein. Könnte diese Verbindungen sich für eine künftige Präsentation wieder lösen und zu einer neuen Kombinatorik führen? Ist vorstellbar, dass sich eine solche kombinierte Malerei wieder gänzlich in ihre Teile auflöst und wieder zu 3 oder 4 Einzelbildern wird? 

Manchmal ist es ein sehr langwieriger Prozess, bis die einzelnen Tafeln in ihrer unterschiedlichen Größe, Format, Farbigkeit etc. so austariert sind, dass sie zu einer Bildeinheit werden. Dieser Prozess entwickelt sich dann zur Malerei auf einer anderen Ebene.

Habe ich dann endlich die Lösung gefunden, bleibt die einmal gefundene Einheit in der Regel bestehen.

Eine andere Situation entsteht in den Ausstellungshäusern. Hier beziehe ich mich in der Regel auf  die entsprechenden Räume; es kann durchaus sein, dass ich dann die Kombinationen verändere und wieder neu ausrichte.

Das ist eine schöne Beschreibung: das Austarieren der verschiedenen Elemente, bis das gewünschte Ergebnis erzielt ist, als Malerei auf einer anderen Ebene. Es beschreibt auch sehr treffend die Ausstellungen in Appenzell, Bonn und Beckum. In den jeweiligen Ausstellungsräumen haben Sie verschiedene Aspekte Ihrer Arbeit der letzten Jahre, die aktuellen „composite paintings“, Papierarbeiten, Filme und Farbtagebücher, in ganz ähnlichem Sinne sehr präzise  austariert und kombiniert. Auch dabei  beziehen sich die verschiedenen Medien und Arbeiten aufeinander, beeinflussen einander und verändern wechselseitig das Betrachtungserlebnis.