Claudia Desgranges

Wirklichkeit, Farberinnerung und Malerei

Claudia Desgranges im Gespräch mit Gisela Clement

Clement: Über Deine Arbeit ist schon sehr viel geschrieben und gesagt worden. Immer wieder wird eine Verwandtschaft zu großen Malern des letzten Jahrhunderts gesehen; Albers, Rothko und Graubner sind Namen, die immer wieder genannt werden. Wie siehst Du diese Verwandtschaften, oder sind es Bekanntschaften?

Desgranges: Ich denke, es ist schwierig, meine Arbeiten einzuordnen. Natürlich arbeite ich vor dem Hintergrund und im Bewusstsein der Geschichte der Malerei. Die abstrakte Moderne, der abstrakte Expressionismus, die Farbfeldmalerei, der Minimalismus haben mich beeinflusst. Gleichzeitig ist es mein Ziel, Freiheit in der Malerei zu erreichen, über Konventionen hinwegzugehen, neue Sehgewohnheiten zu initiieren.

Clement: Unsere Sehgewohnheiten müssen sich verändern, um der Flut der Eindrücke, Du nennst es Tsunami der Bilder, Herr zu werden?

Desgranges: Ja, wir sind so vielen Medien ausgesetzt, alles geht immer schneller, vieles gleichzeitig. Darauf reagiere ich mit dem langsamen Medium Malerei.

Clement: Die Beschäftigung mit dem Phänomen der beschleunigten Welt, die Frage welche Eindrücke sich in der Malerei wiederfinden, führte Dich im Jahr 2009 zum Film. Seit mehr als zwanzig Jahren beendest Du jeden Arbeitstag indem Du Deinen Pinsel in einem Tagebuch ausstreichst. Für Deine Ausstellung im Museum Burg Wissem wurden aus drei, für Deine Biographie besonders wichtigen Farbtagebüchern, Seiten fotografiert. Diese Fotos wurden als Diaprojektionen parallel und gleichwertig, jedoch in verschiedenen Zeitschleifen neben einem von Dir über vier Monate hinweg gedrehten Film gezeigt.

Degranges: Durch das Nebeneinander von Film und Bildern sieht man, wie Erinnerungen und Eindrücke in meine Malerei einfließen. Erscheinungen der Wirklichkeit finden in den Bildern in abstrakter Form ihren Ausdruck. Der Film steht für das Depot im Kopf, aus dem ich schöpfe.

Clement: In unserem Projekt Überblendung bist Du noch einen Schritt weitergegangen. Nun wurden Film und Fotos Deiner Malerei zusammengeschnitten.

Desgranges: Ich habe drei Monate gedreht und Bilder aus dem letzten Tagebuch ausgesucht. Erinnerung an die Wirklichkeit, Farberinnerung und Malerei werden überblendet, sind nicht mehr von einander zu trennen.

Clement: Beim zweiten Projektteil in der Irmintrudisstraße hast Du den Aluminiumsims der Garage bemalt und einige Platten des Garagenvorhofs ausgetauscht und eingefärbt. Wie gehören diese beiden Eingriffe zusammen?

Desgranges: Gegensätze spielen in meinem ganzen Werk eine zentrale Rolle. Hier ist es die Leichtigkeit des Aluminiumstreifens und die Schwere der Betonplatten. Ich möchte verschiedene Wahrnehmungsebenen zusammenführen, führe unterschiedliche Materialien zusammen. Nicht das Versinken in einem Bild ist das Ziel, das Auge soll umherwandern. Der Farbklang der Bodenplatten taucht in der Malerei auf dem Aluminiumsims wieder auf, verbindet die Arbeiten. Der Betrachter hat ein mehrteiliges Bild vor sich, eine Herausforderung zu einer Art visuellem Multitasking.

Clement: Die Arbeit auf dem Aluminium – Du nennst diese Arbeiten “Zeitstreifen” – erinnert an eine Szene aus dem Film, als ein Zug vorbeirast. Auch beim dritten Projektteil in der Adolfstraße erinnert der Fensterstreifen auch an einen Filmstreifen. In diesem Sinne ist diese Arbeit auch ein Zeitstreifen, der aber eine andere Geschwindigkeit zeigt.

Desgranges: Ja, tatsächlich erinnert das Fensterband mit seiner Rahmenunterteilung an einen Zelluloidstreifen. Das Treppenhaus mit seiner Innenbeleuchtung ist dann gewissermaßen der Projektor und der Straßenraum die Projektionsfläche. Ein stehender Zeitstreifen ist hier durchaus gewollt, ein beinahe konstruktiver Ansatz, der in seiner vehementen Farbigkeit und durch die Lichtstreuung jedoch auch wieder gebrochen wird.

Clement: Eine Überblendung der Kunst in das Alltagsleben der nächtlichen Altstadt also?

Desgranges: Ja, hier ist der zufällige Passant, Radfahrer oder Autofahrer der Rezipient, auf jeden Fall jemand, der in Bewegung ist, vielleicht kurz verharrt und seinen Weg dann fortsetzt. Gleichzeitig gibt es durch die Nutzung des Treppenhauses auch immer wieder eine sichtbare Bewegung im Bild bzw. hinter dem Bild. Diese zufällige Choreografie ist ein Teil meines Konzepts.

Clement: Das hat mir besonders gut gefallen, dass Du im Ablauf unserer Projekte nach Detlef Beers Bildern für und in leeren Wohnungen, nach Friedhelm Falkes Wandmalereien in Wohnungen und Treppenhaus und Martin Noëls Interventionen im Außenraum unserer Anlagen mit deiner Überblendung, die die Farbe in gewisser Weise entmaterialisiert, eine weitere Ebene der Konfrontation von Malerei und Realität geschaffen hast.